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Aussagen: Benno Kauffeld
GEFANGENSCHAFT bei der US- Army
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Nachdem wir schon am Vorabend unsere Handfeuerwaffen und Ferngläser unbrauchbar gemacht hatten, übergeben wir sie samt Munition unseren „Befreiern". Die Behandlung ist insgesamt korrekt, nur die „Windhund-Abzeichen" und Armbanduhren werden wir los. Der Leutnant hat wohl schon vorher seine Schulterstücke weggeworfen, denn er flüstert uns zu: „Ich bin auch Schütze Arsch. Will bei Euch bleiben."
Zwei Amis geleiteten uns bis an die Hauptstraße von Elend nach Elbingerode, dort kauerten schon Landser im Straßengraben und immer mehr kamen aus den umliegenden Wäldern dazu. Als einige LKW eintrafen, wurden wir dem Begleitpersonal übergeben. Der Ton wurde rauer, man merkte sofort: Das sind keine Kampftruppen! Mit Kolbenhieben und Rufen: „Mak snell, fucking Krauts", mussten wir mit gut 70 Mann die LKW's entern. In halsbrecherischem Tempo ging es zu einer Sammelstelle in Gernrode.
Hier wurden wir gründlich „gefilzt" und fast all unsere letzten Habseligkeiten landeten auf große Haufen. Nur meine Brieftasche, Meldetasche und den Kradmantel durfte ich behalten. Alle, die wir schwarze Uniformen mit den Totenköpfen auf den Kragenspiegeln trugen, mussten den Oberkörper freimachen. „Du SS" schrie mich ein Schwarzer an, „alle SS". Dann mussten wir die Arme hochnehmen und ein Sergeant prüfte, ob wir eine eintätowierte SS-Blutgruppe an der Innenseite des Oberarmes hatten. Einige SS-Männer wurden erwischt und wurden unter Schlägen abgesondert. Wir montierten, um künftigen Verwechslungen vorzubeugen, die Totenköpfe ab und ließen sie verschwinden. Als nächstes wurden alle Auszeichnungen eingesammelt. Die meisten Amis trugen an beiden Unterarmen Armbanduhren bis hoch zu den Ellenbogen. Immer wieder kamen einigen und forderten: „Give me your watch!" und waren ganz beleidigt, dass es nichts mehr zu holen gab.
Mit „Let's go!" wurden wir wieder auf Lastwagen und Sattelschlepper verfrachtet. Dichtgedrängt wie Oelsardinen wurden wir zusammengepfercht. Die Fahrer - meist Neger -sausten wie die Henker mit Vollgas durch die Kurven. Durch die ständige Gewichtsverlagerung drohten die seitlichen Bordwände zu brechen. Zweimal konnte ich sehen, wie hinter uns fahrende Landser in den scharfen Kehren in hohem Bogen über Bord flogen. Siegfried Beyer, der neben mir stand rief plötzlich: „Gleich kommen wir durch Sondershausen!" - An den Straßen standen viele Zivilisten und schmissen uns Brote zu. Wie es das Schicksal will, erkannte er am Marktplatz seine Mutter: „Hier Mama!" schrie er spontan und schon knallte ein ganzes Brot gegen seinen Kopf; gleichzeitig konnten wir noch diese Kostbarkeit erhäschen.
Bei Hersfeld wurden wir erneut gefilzt und landeten auf eingezäunten Pferdekoppeln, an den Ecken von aufgefahrenen schussbereiten Spähwagen bewacht. Hier gab es auch zum ersten Mal Verpflegung. Jeder bekam aus einem hohen Stapel willkürlich eine Rations-Box zugeworfen. Wer Glück hatte bekam Hühnchen mit Reis, wer Pech hatte fand in seinem Paket Seife und Klopapier. Wer nur rohe Erbsen ergatterte war auch nicht viel besser dran. Da unser kleiner Haufen noch fast vollzählig beisammen war, wurde ein gerechter Austausch vorgenommen. In den nächsten Tagen gab es nur paar Kekse pro Mann. Am Schlimmsten war jedoch der Durst. In einer Ecke der Koppel mündete das verrostete Ende eines alten Bewässerungsrohres einer ehemaligen Tränke. Hier pieselte ein dünner Wasserstrahl, der von den Landsern in Konservendosen aufgefangen wurde.
So verbrachten wir die nächsten Tage in leidlich guter Stimmung. Jeder versuchte mit paar aufmunternden Worten die inneren Zweifel und Besorgnisse zu überspielen. Mit dem Leutnant und zwei weiteren Kameraden hatten wir beschlossen, unter dem Zaun ein Loch zu buddeln und abzuhauen. Da wir fast am Zaun, im Schatten eines riesigen
Verpflegungsstapels campierten, konnten wir fast unbehelligt mit unserer Wühlarbeit beginnen. Mit leeren Cornedbeef-Dosen kratzen wir Schicht für Schicht eine Mulde aus. Das abgetragene Erdreich verteilten wir gleichmäßig auf dem schon niedergetreten Boden um uns herum.
An einem Spätnachmittag wurden wir von wildem Geschieße aufgeschreckt. Die Amis ballerten in alle Hininieisrichtungen. Auf der anderen Seite des Camps türmten sich irgendwelche Abraumhalden, hauptsächlich auf die, schössen sie wild - über unsere Köpfe hinweg - mit Leuchtspurmunition. Es wurde gebrüllt und gejohlt und immer wieder mit Leuchtpistolen in die Luft geballert. Schnell sprach es sich auch bei uns herum: Der Krieg war zu Ende! Es war der 8. Mai 1945: Das Reich war zerschlagen und musste bedingungslos kapitulieren!
Als es dunkel wurde, raunte der Leutnant uns zu: „Jetzt probieren wir's. Die Gelegenheit ist günstig!" - Wir schlängelten uns unter dem Zaun durch. Der Leutnant voraus, dann kam ein Unteroffizier und hinter Beyer machte ich den Schließenden. Der hinter dem Leutnant folgende Unteroffizier wollte wohl noch aus dem Stapel einen Karton mitgehen lassen, doch dabei kam die ganze Chose ins Rutschen und schreckten einen davor sitzenden, dösenden Neger auf. Der schreckte hoch und ballerte mit semer Mpi los und traf den vor ihm davonhuschenden Unteroffizier. Als wir den Aufschrei hörten, machten Beyer und ich kehrt, krochen durch den Zaun zurück und mischten uns unter die zurückgebliebenen Kameraden. Das Schießen des Negers hatte in dem allgemeinen Jubel niemand beachtet, als er jedoch Alarm auslöste, wurde der ganze Zaun mit Scheinwerfern ausgeleuchtet und abgesucht. Der Unteroffizier verblutete, was aus dem Leutnant geworden ist, haben wir nie erfahren.
Als sich der Trubel legte, schauten sich Beyer und ich an und schworen uns, in Zukunft nicht mehr zu fliehen. Nachdem wir den Krieg bis jetzt gut überstanden hatten, wollten wir nicht noch im Nachhinein ins Gras beißen!
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir in Hersfeld blieben, denn die Tage verwehten wie Schall und Rauch. Was allein zählte, waren Essen und Trinken!
An einem schönen Sonnentag war es wieder so weit: In einem endlosen Lastwagenkonvoi, wieder auf den Ladeflächen zusammengefaltet - da schon sichtbar abgemagert — wie Presspappe, ging es stundenlang, ohne die Notdurft verrichten zu können, über Landstraßen und Autobahnen Richtung Westen. Am Abend erreichten wir unser Ziel. Wie wir später erfuhren war es Bretzenheim bei Bad Kreuznach.
Hier begann der traurigste und schrecklichste Abschnitt meines bisherigen Lebens!
An kilometerlangen eingezäunten Camps kommen wir vorbei. Dahinter stehen, liegen oder kauern Tausende von abgerissenen und zerlumpten Männern, mit zerzausten Haaren, wild wucherndem Bartwuchs, tiefen Ringen von Erschöpfung und Hunger unter den Augen und einer beängstigenden Apathie. Vor dem Tor eines Lagers, das von Wachtürmen mit Scheinwerfern und schwerbewaffneten Posten eingerahmt ist, werden wir wieder gefilzt. Bei uns ist doch nichts mehr zu holen! Anschließend bekommt jeder noch aus einer Flitspritze weißes Schädlingsbekämpfungspulver hinter den Kragen und im Hosenbund verabreicht Mit einem „Go on!" werden wir uns selbst überlassen und stolpern müde ins Lagerinnere. Beyer ist mir unterwegs abhandengekommen, so bin ich plötzlich auf mich allein gestellt. Völlig ungewohnte Situation! Die ganze Nacht über kommen neue Transporte an. Es sind Leute aus allen Himmelsrichtungen, von allen Waffengattungen, Junge und Alte, Volkssturm- und Reichsarbeitsdienstangehörige und Hitlerjungen, Kranke und Versehrte, Amputierte und Sieche. Nur die Blitzmädchen und Rote-Kreuz-Schwestern werden ausgesondert. était ce moment encore: Dans un convoi interminable de camions, repliée sur le plateau du camion - comme on le voit déjà émacié - comme carton comprimé, il est allé pendant des heures sans pouvoir se soulager, sur les routes de campagne et les autoroutes à l'ouest. Dans la soirée, nous avons atteint notre destination. Comme nous l'avons appris plus tard, il était à Bretzenheim Bad Kreuznach.
Unschlüssig versuche ich die Lage zu sondieren und erblicke dabei einen wohlgenährten, untersetzten Landser mit einer Steppdecke unter dem Arm. Wir kommen ins Gespräch, stellen uns vor und ich werde mit Karl - nachdem ich zwei Zigaretten aus meiner Meldetasche hervorgezaubert habe - schnell handelseinig. Ich darf mit unter die Steppdecke, dafür „zahle" ich mit meinen Zigaretten. Da ich nicht mehr rauche, lerne ich schnell die künftige, allein gültige „Zigarettenwährung" zu schätzen.
Wir stehen auf einem kahlen Feld, nur hier und da sieht man Stellen von spärlich bewachsenem Boden. Die wenigen Bäume innerhalb des riesigen Areals sind längst umlagert wie mittelalterliche Festungen. In den Zweigen hocken Landser, die sich gegen die aufziehende Abenddämmerung wie riesige Vögel abzeichnen. An einem abseitigen Außenzaun finden wir ein Plätzchen, wo es nicht ganz so gedrängelt voll ist, wie im Lagerinneren. Hier ist der Boden auch noch relativ fest und trocken, weil er noch nicht von Tausenden von Stiefeln oder nackten Soldatenfüßen zertrampelt und aufgeweicht worden ist.
Wolken ziehen auf, es wird wohl Regen geben. Wir beschließen, wie die meisten Landser auch, uns gegen den Wind eine flache Mulde auszubuddeln. Mit bloßen Händen gehen wir an die Arbeit und nach etwa drei Stunden ist unser „Bett" bereitet. Unter uns legen wir meinen Kradmantel und decken uns - Rücken an Rücken liegend - mit der Steppdecke zu. Müde wie wir sind, fallen wir schnell in tiefem Schlaf. Mit kleinen vereinzelten Tropfen beginnt es dann gemächlich an zu regnen. Doch als es stärker wird, erwachen wir, stellen uns nun Rücken an Rücken und schmeißen den Kradmantel nun über uns. Schließlich schüttet es wie aus Kübeln und wir sind beide bestrebt, die Meldetasche mit den wertvollen Zigaretten vor Nässe zu bewahren. Nach einer Stunde sind unsere Körper, von der Brust abwärts, völlig durchnässt. Tatenlos müssen wir mitansehen, wie die mühsam angelegten Mulden langsam voll Wasser laufen und wie sich das riesige Areal des Lagers in eine einzige, unübersehbare Schlammwüste verwandelt.
Am Morgen hört der Regen auf. Es gibt drei Kekse pro Mann! Die meisten verschlingen sie mit einem oder zwei gierigen Bissen. Nachdem die Tausende ihre Ration empfangen haben, stolpern sie zurück an ihren Schlafplatz. Der Weg von 100 bis 200 Metern durch den knöcheltiefen Schlamm wird für die meisten der ausgemergelten, müden und apathischen Männer zur Qual. Mit jedem Schritt, der einer der Tausenden tut, wird der Morast tiefer, wird der Schlamm zähflüssiger und bis gegen Mittag verwandelt sich das Lager in eine einzige Schlammwüste. An einigen tückischen und gefährlichen Stellen versinken einige Männer bis zu den Knien und bleiben im Sumpf stecken. Nur mit Hilfe von herbeieilenden Kameraden können sie aus der bedrohlichen Lage befreit werden.
Zu dieser Misere gesellt sich der in den Eingeweiden wie tausend Stecknadeln bohrende Hunger, die Angst und Verzweiflung, die Ungewissheit über das weitere Schicksal und schließlich jener Durst, der zwar in der Nacht mit mühsam aufgefangenem Regenwasser noch einigermaßen zu löschen war, jetzt jedoch nach den Keksen umso schlimmer ausbricht. An die überall im Lager stehenden Pfützen wagt noch niemand heranzugehen aus Angst vor Typhus oder Ruhr.
Zähflüssig wie der Schlamm im Lager schleichen auch die Tage dahin. Nach einigen Regentagen fallen die Temperaturen, eisiger Wind kommt auf. Der Boden trocknet etwas ab und auch unsere Steppdecke wird wieder trocken. Morgens sieht man die Gefangenen wild mit den Armen um sich schlagend oder von einem Fuß auf den anderen tretend, um die eingeschlafenen und steifen Glieder wieder wachzubekommen oder um einfach etwas zu tun und die aufs Gemüt drückende Atmosphäre der Ohnmacht ein wenig aufzuhellen. Mit Karl habe ich einen guten Fang gemacht. Er ist immer hoffnungsvoll, erzählt viel von seinem Kochberuf und versucht mich aufzuheitern.
Erneut fällt Regen. In den Erdlöchern steht erneut das Wasser zentimeterhoch. Es gibt keine warme Verpflegung. Meist nur Kekse und kleine Stücke Blockschokolade. Milch- und
Eipulver werden löffelweise ausgegeben. Vor allem sehr viel Bohnenkaffee und Seife. Welch ein Hohn, wer wäscht sich hier noch und wo? Der Kaffee wird trocken heruntergewürgt. Viele sind schon verhungert, erfroren oder in die Latrine gefallen. Die meisten Opfer forderte der Schlamm und der bodenlose, glitschige Untergrund an den Latrinen, deren Benutzung namentlich nach Regenfällen zu einem Spiel auf Leben und Tod ausartete. So mancher Landser, der sich nur noch mit Mühe auf den abgezehrten Beinen halten konnte und die Amputierten sind vom dringenden Gang zu den Latrinengruben nicht mehr zurückgekehrt. Kraftlos sind sie in den stinkenden und kaum zu beschreibenden Abgrund hineingefallen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Morgens streuten Arbeitskommandos säckeweise Kalk in die Gruben.
Viele Gefangene sind zum Skelett abgemagert, andere unnatürlich und krankhaft aufgebläht. Viele, vor allem die Älteren, verlieren die Nerven und drehen völlig durch. Die ersten Selbstmorde sind zu verzeichnen. Einige laufen gegen den Zaun und schreien markerschütternd: „Ich will hier raus. Laßt mich doch raus!" Da passiert es auch, dass diese Unglücklichen im Stacheldraht hängend vom Wachturm aus erschossen werden. Die jüngeren Kameraden sind meist disziplinierter, können sich besser helfen und haben Ideen. Manche wollen einfach nicht mehr, verschenken ihre Rationen und legen sich zum Sterben in ihr Loch. Nervenzusammenbrüche treten immer häufiger auf, der „Lagerkoller" greift um sich! Auch die Klauerei wird immer schlimmer. Wer seine Schuhe auszieht, knotet sie zusammen und benutzt sie als Kopfkissen.
Täglich werden Neuzugänge mit Armee-Lastwagen herangekarrt. Halbverhungert und erschöpft oder gezeichnet von schweren Krankheiten stürzen sie sich - nach oft tagelangem Hungern auf dem Transport - wie wilde Tiere auf die von den Amis am Tor ausgeteilten Rationen. Trotz Warnungen einsichtiger Landser spülen sie mit kaltem Wasser die rohen Lebensmittel in ihre ausgezehrten und revoltierenden Mägen mit dem vorhersehbaren Erfolg, dass mancher von ihnen wenig später hilflos an Durchfall sterben muß.
Als sich ein feister Hase ins Camp verirrt, ist die Aufregung groß. Er schlägt zwischen den Beinen der Landser verzweifelte Haken, doch die Jagd hat schnell ein Ende. Bei der Masse Mensch wird er schnell gefangen, die Kameraden schmeißen sich einfach auf ihn und erwischen ihn am Fell. Für einige Glückliche gibt es an diesem Tag Hasenfleisch — roh hinuntergeschlungen.
An der Verpflegungslage im Lager ändert sich nichts: Milch- und Eipulver, Keks, Schokolade, rohe Erbsen und Kaffeebohnen. Mein Kumpel Karl, der Berufskoch, stellt lakonisch fest, dass selbst der beste Koch der Welt hier versagen müsste, wenn er aus diesen Ingredienzien ohne genügend Wasser, vor allem jedoch ohne jegliches Feuer, eine essbare Kost zubereiten sollte.
Einige, die kein Wasser abgekriegt haben oder zu faul, zu müde oder zu schlapp sind, um sich paar Tropfen am Tankwagen zu holen, schlucken das Pulver und die Kekse gierig trocken hinunter und sind Tage später hoffnungslos verstopft und innerlich verbrannt. In immer kürzeren Abständen verlassen Lastwagen das Lagertor mit makabrer Fracht: Viele Hunderte von verhungerten, an Erschöpfung zugrunde gegangenen, hilflos im Schlamm erstickten, in den Latrinen ertrunkenen oder an der Ruhr verstorbenen Kriegsgefangenen.
Die Landser sind abgebrüht genug, sich unter diesen Umständen keinen Illusionen hinzugeben. Jeder von ihnen weiß oder ahnt, dass er morgen oder übermorgen oder in einer Woche zu jenen Kameraden zählen kann, die jeden Morgen in der Nähe des Tores zusammengetragen werden, um ihre letzte Fahrt anzutreten. Die Männer haben zuviel durchgemacht und sind viel zu schlapp und apathisch, um sich bei diesem immer selbstverständlicher werdenden Anblick Sentimentalitäten hinzugeben. Die panische Angst vor dem hilflosen und tierischen Sterben hinter Stacheldraht und auf nacktem Lehmboden lebt hier Erdloch an Erdloch mit jener Einstellung, wie sie den Orientalen nachgesagt wird: Kismet — Schicksal!
Um wohl der hohen Sterblichkeit zu begegnen wird eines Tages vorn am Lagereingang ein großes Lazarett-Zelt aufgestellt. Wie wir bald hören, stehen die deutschen Stabsärzte und Sanitäter und ihre amerikanischen Kollegen vor einer unlöslichen Aufgabe. Sie tun ihr Möglichstes, aber es ist bitter wenig, was sie überhaupt ausrichten können. Es fehlt an Medikamenten, Operationen können nur dann notdürftig vorgenommen werden, wenn überhaupt ein Quentchen Aussicht auf Erfolg besteht. Was sich hier vor dem Eingang zu diesem Notlazarett abspielt, lässt sich nicht in Worten ausdrücken. Der Sturm von Hilfesuchenden setzte bereits ein, als mit dem Bau begonnen wurde. Hunderte suchten hier Hoffnung und Heilung. Hunderte, die bereits mit dem Leben abgeschlossen hatten und jetzt neuen Lebensmut fassten, die sich auf Krücken oder auf allen Vieren kriechend aufmachten zum Lazarett, das nur die wenigsten von ihnen aufnehmen konnte.
Da sind die Verwundeten in ihren gestreiften Lazarettanzügen, die von den Amis vielfach aus dem Krankenzimmer oder dem OP herausgeholt und hier ins Lager gebracht wurden. Da sind all jene die vor Erschöpfung und Hunger kaum kriechen können, die die Grippe haben oder eine Lungenentzündung oder die Ruhr oder Verstopfung.
Es gibt kein langes Feilschen und Verhandeln über die Aufnahme. Das Personal hat einen geübten Blick. Schnell und teilnahmslos trennen sie die Spreu vom Weizen. Für viele bedeutet die Aufnahme ins geheizte Zf elf die Versorgung mit besseren Mahlzeiten und vor allem auch eine richtige Liegestatt, dass sie dem Tod im letzten Augenblick noch von der Schippe gesprungen sind. Und für manche, die abgewiesen wurden, weil der Platz nicht ausreicht, bedeutet diese Entscheidung das Todesurteil, vollstreckbar an einem der nächsten Tage oder in einem der nächsten Mainächte.
Die meisten der Zurückgewiesenen kehren nicht zurück zu ihren bisherigen Kameraden. Sie lungern rund um den Zelteingang decken sich notdürftig mit ihren zerschlissenen Zeltbahnstücken oder Militärmänteln zu und warten. Sie warten darauf, dass doch noch ein Wunder geschieht, dass das Zelt vielleicht noch vergrößert wird, ein zweites hinzukommt oder ganz einfach darauf, dass ein Platz frei wird, weil wieder einer gestorben ist. Manchmal sind es mehrere, die morgens aus dem Zelt getragen und an die Landstraße zum Abtransport gelegt werden.
Auch wir schauen uns beim Verpflegungsempfang das Drama an. Es ist erschreckend, aber oft genug ist es so etwas wie Freude, was in den Gesichtern der dort liegenden zu lesen ist, wenn Tote hinausgetragen werden. „Wieder ein Bett frei l Vielleicht kriege ich es diesmal???" Was geht die Kranken und Sterbenden und Müden hier denn schließlich auch ein Einzelschicksal an, eins unter 150,000? Du lieber Himmel, soll man sich denn über jeden Toten noch aufregen? Und wen kümmert es schon, wenn man eines Morgens selbst in den Straßengraben gelegt wird?
Alle diese Scheußlichkeiten, Leiden und Ungeheuerlichkeiten gehen mir durch den Kopf und mir fallen die Parallelen ein, die Edwin E. Dwinger in seinem Buch „Armee hinter Stacheldraht" - das ich von Bruder Kurt bekommen hatte - so treffend geschildert hat. Nur von Kameradschaft merkt man nichts. Hier und da tun sich zwei, drei, vier Leute zusammen. Im übrigen sind alle wie reißende Wölfe.
Mit meinen erfrorenen Füßen bekomme ich auch Schwierigkeiten, die Zehen sind wie abgestorben und gefühllos. Das kommt wohl von der Kälte, der Nässe und dass man die Stiefel tagelang nicht von den Füßen bekommt. Wenn es nicht regnet knete und massiere ich die Fußspitzen, das tut gut und das taube Gefühl verschwindet langsam.
Auf den vor den Weinbergen entlangführenden Bahngleisen ist in letzter Zeit viel Betrieb. Immer wieder hört man das Pfeifen der Loks und das Krachen von rangierten Waggons. Es kommen immer wieder neue Gefangenentransporte an. Hinter unserem Camp werden neue Zäune errichtet. Im benachbarten Lager werden Österreicher untergebracht. Die bekommen wohl Sonderrationen, denn die Kameraden sehen nicht ganz so verhungert aus. Wir versuchen am Zaun mit einigen ins Gespräch zu kommen, doch das klappt nicht so recht. Sie lassen uns ziemlich arrogant abblitzen: „Wir Gestenreicher sind jetzt endlich frei und brauchen uns vor Euch Nazis nicht mehr zu ducken!" - Karl schwillt der Kamm und ruft ihnen entgegen: „Wer hat Euch denn überfallen und vergewaltigt? Mit über 99 Prozent habt Ihr für den Anschluß ans Reich gestimmt und alle habt Ihr dem Adolf zugejubelt! Euren Scheiß-Hitler hättet Ihr selbst in Braunau behalten können!" - Woher haben die wohl Nadeln und Garn her? An den Uniformjacken sieht man kleine rot-wie-rote gestickte Fähnchen. Karl ist kaum zu beruhigen: „Ich war doch beim Einmarsch dabei, wie sie uns mit Blumen und kleinen Geschenken begrüßt und zugejubelt haben. Von den sieben Millionen „Ostmärkem" waren nur 0,27 Prozent - das sind 19 000 - dagegen! Und dann sprechen die Schweine heute von Überfall!"
Vor einer Kommission werden wir schubweise zur Registrierung gebracht. Einzeln werden wir von den Vernehmungsoffizieren befragt. Ein Captain gibt sich ganz jovial, blättert in meinem Soldbuch und fragt nach Geburtsort, Wohnort, Familienstand und Zugehörigkeit zu NS-Organisationen. Wahrheitsgemäß sage ich ihm, dass ich Angehöriger der Hitlerjugend war. Das kratzt ihn wohl nicht, bohrt aber in perfektem Deutsch weiter: „Auch in der Partei?" - „Nein, dazu war ich noch zu jung." -„Letzte Einheit?" - „l 16. Panzerdivision!" Als er das hört, nickt er mit dem Kopf und meint: "Sehr gut!"- Auf die weitere Frage nach dem Beruf, antworte ich schon ganz selbstsicher: „Schüler mit Kriegserfahrung und Führerschein," Er grinst nur und verabschiedet mich. Das Soldbuch gibt er einem Sergeanten, der stumm daneben saß und sich paar Notizen machte. Mein deutsches Geld vom letzten Wehrsold und der „17 und 4 —Kasse" wurde fein säuberlich dem Soldbuch beigelegt. Werden wir vielleicht doch bald entlassen? Neue Hoffnungen kommen auf!
Immer öfter werden bestimmte Berufsgruppen durch die Lautsprecher aufgerufen. Meist werden Eisenbahner und Landwirte gesucht, die sich am Tor melden sollen. Neidisch wird den Abziehenden nachgeblickt. Am nächsten Tag sind Bergleute an der Reihe. Ich sage zu Karl: „Die kommen wohl in den Ruhrpott,oder?" - Sein Kommentar dazu: „Oder zu den Polacken nach Oberschlesien!" - Er ist in letzter Zeit oft grantig. Es wurmt ihn wohl, dass er als Koch keine Verwendung in irgendeiner Ami-Küche bekommt.
Das Wetter schlägt um. Es wird von Tag zu Tag wärmer. Jetzt müssen wir schon tagsüber Schatten suchen, um keinen Sonnenbrand zu kriegen. Meinen Füßen tun die Sonnenstrahlen gut, doch der Durst wird bei der Hitze unerträglich. Wasser ist in unserem Lager nach wie vor Mangelware. Wenn der Wasserwagen kommt, stürzen sich die Landser gierig auf die aufgestellten Leinwandschüsseln. Dabei wird vom kostbaren Naß viel verschüttet. Oft wird das den Fahrern zu dumm. Sie rufen nur: „Nix Disziplin!" und rauschen mit ihrem Truck davon.
Es kommt der 20. Mai: Es ist Pfingstsonntag und ich habe Geburtstag! Im letzten Jahr erlebte ich — auch bei strahlendem Sonnenschein — in Königsborn meine erste Feuertaufe. Trotzdem waren wir noch voller Zuversicht und Stolz. Und heute hocke ich halbtot und ausgezehrt hier und die Gedanken kreisen nur noch um das Essen und Trinken, so grausam sind Hunger und Durst. Was ist in diesem einen Jahr nicht schon alles passiert? Ich greife in meine Brieftasche und betrachte mir Sigis Bild: „Talisfrau" hilf mir auch weiterhin! Wo mag sie wohl stecken?
Wo sind die Eltern? - Die Brieftasche, die Erkennungsmarke und ein Löffel sind mein ganzer Besitz.
Am Nachmittag sehen wir junge Frauen, die in hellen Sommerkleidern auf der Landstraße spazieren gehen, uns zuwinken und aufmunternde Worte zurufen. Seit Tagen versuchen Dorfbewohner — nachdem sie merkten, dass die Amis sie gewähren lassen - immer wieder Brotstücke über den Zaun zu werfen. Die meisten Stücke bleiben jedoch im Stacheldraht hängen, die Entfernung ist einfach zu weit.
Am nächsten Morgen kommt der Befehl, dass alle in einer Reihe hintereinander zum Tor kommen sollen. Das erste Brot wurde ausgegeben! 16 Mann mussten sich ein Brot teilen. Blütenweißes duftendes Brot von wunderbarem Geschmack. Selten ist ein Stück Brot mit mehr Andacht und Dankbarkeit verzehrt worden wie dieses. An den nächsten drei Tagen wiederholte sich das procedere. Da gab es sogar für acht Mann ein Brot. Danach ging es allerdings wieder im alten Trott weiter.
Auch das Wetter verschlechtert sich wieder. Schwarze Wolken ziehen auf. Mit Blitz und Donner regnet es wokenbruchartig. Und schon bald verwandelt sich der Boden erneut in einen unergründlichen Morast. Der Regen fließt von unserer Decke auf die Hosenbeine und läuft in die Schuhe. Alles ist pitschnaß. Die ganze Nacht verbringen wir im Stehen, denn Hinsetzen oder Hinlegen ist unmöglich. Wieder fallen einige vor Entkräftung um und bleiben im Sumpf liegen. Man muß schon einen starken Willen entwickeln, um nicht einfach aufzugeben. Als am nächsten Tag die Sonne wieder durchkommt atmet alles auf. Die nächste Trockenlegungsaktion läuft wieder an.
Ein Morgen beginnt anders als sonst: Ständig werden Namen aufgerufen und man muß schon sehr konzentriert hinhören um ja nichts zu verpassen. Krächzend und verstümmelt kommen die Namen aus dem Lautsprecher. Die Stimmung bessert sich zusehendst, die letzten Lebensgeister werden mobilisiert, jubelnd schwuren die Parolen durch die Luft: Wir werden entlassen! - Es geht nach Hause!
Als mein Name aufgerufen wird, rufe ich Karl zu: „Bis gleich!" und begebe mich zum Tor. Dort muß ich meinen Namen und das Geburtsdatum als Kontrolle angeben, damit sich kein Unberechtigter dazuschmuggelt.
Gruppenweise zu jeweils 50 Mann werden wir dann zu den Geleisen geführt, wo schon ein Güterzug mit Viehwagen und auch offenen Waggons bereitgestellt ist. Für uns schlappe und ausgemergelte Kerle ist es nicht so einfach den Bahndamm und dann die Waggons zu erklimmen.
Wir klettern mühsam in einen geschlossenen Wagen und können unseren Augen nicht trauen, als wir neben der Tür einen Stapel Rationskartons erblicken. Wie die Heuschrecken fallen die Landser darüber her und es kostet unendliche Mühe bis ein Kamerad und ich etwas Ordnung herstellen können und eine gerechte Verteilung vorgenommen werden kann. Alles schreit durcheineineinander: „Jetzt geht es bestimmt nach Hause," - „Die Amis wollen uns etwas aufpäppeln, bevor wir zu Muttern kommen," - „Ist doch anständig, wenn sie uns für die paar Stunden Bahnfahrt noch so gut versorgen," unä so ähnlich geht es weiter, bis die Kartons aufgerissen sind und ein kauen, schmatzen und sabbern beginnt.
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Ed: 23/02/2015
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