Auszüge von Buch von de Horst Fusshöller :Erinnern ohne Groll

Zweiter Weltkrieg und Gefangenschaft
POLO

Horst Fusshöller PGA à Rennes



 

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... so hieß das Lager, doch offiziell hatte es die Bezeichnung"Depot 189" Bayonne-Beyris. Um Mitternacht auf Donnerstag den 30. August erreichten wir es in qualvollem Fußmarsch. Wie schon berichtet, hatten viele unterwegs persönliche Sachen am Straßenrand stehen lassen, da sie körperlich nicht mehr in der Lage waren, mehr als sich selbst voran zu schleppen. Wie alle Lager lag auch dieses abseits von einer Ortschaft oder auch von bewohnten Einzelhäusern.

Le camp de Bayonne-Beyris (Horst >Fusshöller est le 3eme en bas à partir de la gauche)

Wir waren im französischen Baskenland angekommen, im Bereich "Basses Pyrénées", heute aber als "Pyrénées Aquitaine" bezeichnet, nicht weit von Bayonne und von der berühmten Badestadt Biarritz. Das Lager bestand aus Baracken, und hier erlebte ich erstmals, daß Offiziere von einfachen Mannschaften getrennt untergebracht wurden.

Noch nachts auf einzelne Baracken verteilt, verfiel man erschöpft in tiefen Schlaf, und all dies wieder einmal, ohne etwas an Essen erhalten zu haben. Nach wenigen Stunden Schlaf mußten alle Neuangekommenen, schon früh am Morgen herausgepfiffen, auf dem Lagerplatz antreten, allerdings zu unserer Überraschung mit unserem gesamten persönlichen "Hab und Gut". Womit keiner gerechnet hatte, das traf nun ein. Wir wurden gefilzt (Filzen war der gängige Ausdruck unter uns Gefangenen, für "Durchsuchtwerden", und alles wertvoll Erscheinende wurde dabei abgenommen). Doch zuerst einmal hatte jeder vor sich auf dem Boden seine Habe auszubreiten. Wer noch eine Armbanduhr trug, hier verlor er sie, aber auch noch gut erscheinende Schuhe und Bekleidungsstücke. Nicht nur das, auch Seife und eventuell noch einen deutscher Geldschein, alles wechselte den Besitzer. Mir nahm man meinen Mantel ab, und ich erkannte zu spät, daß meine mit Zahnpasta aufgeschriebenen Buchstaben PG (Prisonnier de Guerre) nicht mehr vorhanden waren. Sie mußten abgewaschen worden sein, als man unseren offenen Waggon in Bordeaux unter der Wasserfüllanlage durchgezogen hatte, und so war der Mantel eine makellose Beute geworden. Zähneknirschend, aber machtlos, ging es dann wieder in die Baracken. Auch heute gab es keine Verpflegung.

Als es dunkel wurde, hatte das ganze Lager anzutreten. Hunderte oder gar Tausende Gefangene waren es, die erwartungsvoll auf eine große Filmleinwand starrten, welche man im Freien aufgestellt hatte. Es wurde uns ein Stumm-Film über die deutschen Konzentrationslager gezeigt. Wir waren alle entsetzt. Wir hatten ja von all dem nichts gewußt und schlossen daraus für uns keine guten Folgen.

Am Samstag, den 1. September wurden wir dann der Reihe nach zu einer Befragung geführt. Ganz einfach, eine bessere und zusätzliche Verpflegung wurde dem zugesagt der sich freiwillig zum Minensuchkommando meldete. Ich war einer unter vielen war zwar niemals als Pionier ausgebildet worden, doch Antrieb war der Hunger und der Wille zu überleben. Auch Karl Möhl, mein Freund, war mit von der Partie, der sich wie ich als"Demineur Volontär" meldete (siehe Anhang 3-P)

Es dauerte aber noch bis zum 11. September, bis wir neben der nun angelaufenen kärglichen Verpflegung die Lebensmittelzulage erhielten. Sie bestand aus täglich 6 gr. Fett, 10 gr. Zucker, 50 gr. Brot, einem viertel Ltr. Rotwein und einem kleinen Stuckchen Käse. Ein Mann benötigt zum Leben bei völliger Ruhe 168o Kalorien. Man bedenke, daß die 3oo gr. Weißbrot am Tag als Normverpflegung ja nur 750 Kalorien brachten. Die"Gefahrenzulage" betrug also gerade mal 350 Kalorien, und wenn man die abendliche Suppe sehr wohlwollend noch mit 100 Kalorien berechnet, dann lag die Verpflegung mit nur 1200 Kalorien noch um 1/3 unter dem Bedarf für einen Mann, der nicht arbeitet und völlig ruht (berechnet gemäß "Gesundheitsbuch" von Prof Dr. Lucas, Seiten 62 bis 86).

Erst am Mittwoch, den 19. September wurden wir als Minensucher-Gruppe zusammengestellt und mit Lkws abgefahren. Man fuhr uns zum Golfplatz von Biarritz, der südlich der Flußmündung des Adour und nördlich von Biarritz am Golf der Biskaya liegt. Wir fuhren durch einen kleinen Ort namens Anglet und sahen kurz danach erstmals den Atlantik-Strand. Auf der Uferstraße fuhren wir dann nach Norden und durchquerten den Kiefernwald "Chiberta". Zwischen den Bäumen lugten prächtige, kostbare Villen hervor, teilweise auch in ausgefallenen Stilrichtungen erbaut. Wir waren dort, wo die Superreichen lebten. Später erst erfuhren wir, daß auch ein russischer Großfürst seine Villa im Walde von Chiberta hatte.

Schließlich waren wir am Ziel und stiegen vom LKW. Durch den Sand stapften wir in Richtung eines schweren Bunkers, der als Teil des Atlantikwalls hier von der deutschen Besatzung noch erbaut worden war. Er diente zur Zeit als Unterbringung einer anderen Gruppe von Demineuren und galt für unsere Gruppe auch als der Befehlsstand. Wir wurden zur Arbeit eingeteilt und stellten fest, daß diese Gott sei Dank noch nichts mit Minenheben zu tun hatte. Das ganze Gelände, es war nicht nur der Golf- sondern auch der Pferderennplatz von Biarritz, lag hinter den Sanddünen und hatte mittendrin 2"etangs" (Teiche), welche durch einen kleinen, unterirdischen Kanal miteinander verbunden waren. Hier im Gelände sah man MG-Erdbunker, Stacheldraht-Verhaue und teilweise auch gesprengte Bunker. Unsere Aufgabe war zunächst das Aufräumen.

Das Hin- und Herfahren zwischen dem Lager Polo und dem Golf war täglich sehr zeitraubend, und so kam es, daß ich mit einigen Dutzend Kameraden "Demineuren", am Montag, den 1. Oktober verlegt wurde, und zwar in ein ehemaliges OT-Lager (114) in dem kleinen Ort Anglet, durch welchen wir sonst täglich mit dem LKW gefahren waren. Unser Lager erhielt den Namen "Golf", sicher auch deshalb, weil in direkter Nachbarschaft ein kleines Hotel namens Golf lag.

Unsere Unterkunft bestand aus einem U-förmigen Massivbau. Mit Sicherheit war es einmal von den Arbeitern der "Organisation Todt" als Materiallager genutzt worden. Es lag mitten im Ort an der Straße, mit Stacheldraht umzäunt, am Eingangstor ein Wachhäuschen für unsere Zivilbewacher.

Das schlimmste für uns alle war, daß wir auf dem blanken Betonboden schlafen mußten. Was blieb uns anderes übrig, als organisieren zu gehen. Zuerst mußten Kartons oder Zeitungen als Unterlagen dienen, bis unser Lagerchef, ein richtiger Baske namens Pierre Hitce (wir nannten ihn liebevoll Pierro), Stroh als Unterlage besorgte.

Mein Freund Karl Möhl, aus dem Hotelgewerbe kommend, hatte es verstanden, die Position als Küchenchef zu ergattern, was es ihm ermöglichte, mir in der Zeit des Golf-Aufenthaltes hin und wieder nachts eine Möhre unter der Wolldecke zuzustecken, denn auch hier war trotz der sogenannten Zusatzverpflegung der Hunger sehr groß.

Worunter wir alle litten, waren aber auch Läuse und Flöhe. Zwar hatte ein Kamerad, Emil Binz aus dem Hessischen, von Beruf Ingenieur, aus einer Gulaschkanone, welche gammelig auf dem Gelände herumstand, eine Warmduschanlage gebaut. Doch das zu heiße Waschen unserer alten Wehrmachtspullover führte schnell dazu, daß die Wolle wenn nicht verfilzte, so einlief, daß uns danach die Pullover nicht mehr paßten. So kamen wir zurück auf die uns Gefangenen wohlbekannte, aber weniger wirksame Methode, allabendlich die Nissen in den Nähten zu knacken. Mit den Flöhen war es schon etwas schwieriger. Hier mußte man flink sein, um sie zwischen angefeuchtetem Daumen und Zeigefinger zu fangen. Diese wurden dann ganz herzlos entweder zerrimmelt oder in einer Dose mit Wasser ertränkt.

Sonntag, der 7. Oktober war für uns ein besonderes Erlebnis. Erstmals durften wir unter Bewachung an den Strand und in der Biskaya baden. Die Gegend war nicht weit von der hohen Felsenklippe entfernt, die den schönen Namen heute noch trägt "Chambre d'Amour". Auf der Spitze des Felsens stand (und steht heute noch!) der Leuchtturm von Biarritz, der die Schiffe nachts auf dem Meer vor den gerade in der Biskaya oft sehr gefährlichen Wasserverhältnissen warnt.

 

Da die Verpflegung nach wie vor sehr schlecht war, versuchten viele irgendwie an Zusätzliches heranzukommen. So hatte ich einen Kameraden, Hans Booth aus der Gegend von Koblenz, der dank seiner Erfahrungen aus dem ehemaligen Wehrmachts-Strafkommando Bataillon 99 nicht zimperlich war. Er hatte die Schwachstelle des Lagers schnell heraus, welche auch darin bestand, daß unsere Bewacher selbst arm und hungrig waren. Hans ging nachts auf Tour. Er wußte ja, wo die reichen Villen standen, und dort versorgte er sich stets so, daß er auf die Dauer seines Aufenthaltes im Lager Golf keinen Hunger litt. Er schleppte von den feinsten Bordeaux -Weinen bis hin zu den ausgefallensten Delikatessen (einmal gar Rinderhoden-Konserve) an. In einem US-Ersatzteillager in Strandnähe, ließ er, weiß Gott wie und wann, jede Menge Autoreifen verschwinden und versilberte diese, quasi im Schwarzhandel, an die Franzosen (115). Wie ich mich erinnere, besaß et sogar ein jagdgewehr, für das er, für uns alle unbegreiflich, als sicheren Aufbewahrungsort die Zwischendecke des Wachhäuschens auserkoren hatte. Natürlich sagte ich nicht nein, wenn er mir etwas zusteckte. Er hatte den Narren daran gefressen, dem mickerigen Kameraden Horst wie ein Schutzpatron zu sein. Jeden hätte er umgebracht, der mir etwas zuleide getan hätte. Ich konnte mich später etwas revanchieren, als er aus dem Lager auf Nimmerwiedersehen floh.

Dann war da Franklin Volk. Er strich nicht nur die Wohnung des Lagerchef Pierro neu, sondern er malte ihm gar ansehnliche Bilder, die heure noch in dessen Wohnung hängen. Dafür gab es entweder etwas Geld, Tabak oder Lebensmittel.Ich konnte mit beiden erwähnten Fähigkeiten nicht aufwarten, doch da ich nicht rauchte, verkaufte ich meine zugeteilte Tabakration (der Tabak nannte sich TROUPE, die Zigaretten GAULOISES) an unsere beiden französischen Zivilbewacher. Von diesem, meinem ersten französischen Geld ließ ich mir aus der Stadt ein kleines französisches Lexikon "Larousse" mitbringen, welches von da an mein täglicher Begleiter und Lehrer sein sollte.

Unser Lagerchef selbst war ein herzensguter Mensch. Irgendwie arrangierte er des öfteren, daß 2-3 Mann von uns als "Arbeitshilfe" in ein Nonnenkloster abgestellt wurden, das nicht weit vom Lager entfernt in einem großen Garten lag. Man gab uns aber keine Arbeit, sondern zu essen. Viele Jahrzehnte später sollte ich auch hier Gelegenheit haben, einen Besuch zu machen und auf angemessene Art Dank zu sagen.

Eine andere Möglichkeit, meinen Hunger zu bekämpfen, ergab sich am Samstag den 13. September. Ich war bei Arbeiten auf dem Golfplatz, als der französische Bewacher mir ein Bajonett in die Hand drückte und mich zu dem Kanal zwischen den beiden Teichen begleitete. Dort sollte ich für ihn Austern brechen. Es gab so viele, daß ich nicht nur für ihn, sondern auch für mich solche erntete. Er zeigte mir, wie man sie ißt und ich habe solche erstmals und zwar sofort, also an Ort und Stelle, mit Genuß geschlürft.

Sonntag, der 14. Vermerk: Großes Reinemachen.

Freitag, der 19.Oktober war für uns alle wieder ein besonderer Tag. Es gab ab heute mehrere Tage lang eine amerikanische Unterstützung: Keks, zucker, Hash und Fett, aber auch Seife. Das Wichtigste aber war für uns das Insektenpulver. Wie bereits im Lager Stenay war es das Mittel DDT. So wundervoll es war, etwas mehr zu essen zu haben, das Wichtigste war, ab diesem Tag waren wir mal wieder für geraume Zeit frei von Läusen und Flöhen.

Der November bot nichts Besonderes, außer den Vermerken "Vaters 7. Todestag" am 11. 11. und "Buß und Bettag" am 21.11.

Nur Freitag, der 23. November bot etwas an neuer Abwechslung an. Mit einem LKW ging es nach Soustons in den Landes, um Holz zu holen. Es kam mir schon vor wie eine Fahrt ins Blaue.

Man sah endlich eine andere Landschaft, und wir mußten auch keine Angst mehr haben, unterwegs bedroht zu werden. Zu der Zeit, als ich in Rennes war und ich mit einem Kameraden auf einem offenen LKW in der Stadt unterwegs war, kam dies einmal vor. Ein amerikanischer Soldat zog seinerzeit seinen Colt und behütete mich und einen anderen Kameraden davor, vom Wagen heruntergezogen zu werden und Schläge zu beziehen.

Sonntag, der 2. Dezember. Der 1. Advent, und als große Überraschung wurden wir von unserem Lagerchef Hitce alle zu einem Spaziergang ausgeführt. So trotteten wir in Reih und Glied bergauf Es ging zum"Phare", dem Leuchtturm von Biarritz, der auf einer hohen Felsklippe stand. Es war interessant, einen Blick auf die berühmte Stadt Biarritz werfen zu können, doch viel wichtiger war es für alle, auf dem Weg "megots" (Zigarettenkippen) aufzulesen. Selbst wer nicht ein leidenschaftlicher Raucher war, bückte sich nach den weggeworfenen Stummeln.Sie waren immerhin Tauschobjekte. Irgendeiner unter uns hatte immer Bedarf an Tabak, der mit Zeitungspapier ja schnell zu neuen Zigaretten gedreht wurde.

Montag, der 3-Dezember. Ich mußte einen guten Schutzengel gehabt haben. In den Dünen sollte ich ein altes MG-Nest entfernen. Dabei machte ich wohl einen groben Fehler, indem ich 2 Betonwände mit einem Zuschlaghammer zertrümmerte, aber dabei nicht den Druck nachrutschenden Sandes bedacht hatte. Die eine Betonwand kippte und begrub mich, Gott sei Dank in einem toten Winkel sitzend. Auf mein Hilferufen befreiten mich meine Kameraden aus der mißlichen Lage.

 

Dienstag, der 4. Dezember bescherte mir eine neue, intéressante Arbeitsstelle. Ich wurde nun täglich von einem Bewacher morgens in die Stadt Bayonne begleitet, wo ich als "Mädchen für alles" im Park unseres Deminage-Büros in der Villa Rosillo eingesetzt wurde. Mal half ich einem Schmied dort bei seinen Arbeiten als Handlanger, mal baute ich mit ihm und noch einem anderen Kameraden eine Unterstellung für LKWS, doch in 1. Linie war ich für die Pflege des Parks verantwortlich.

Es war ein großes, baumbestandenes Gelände mit einem schönen herrschaftlichen Haus in Backstein mitten im Park. Der Hauch von etwas mehr Freiheit tat so gut, denn es gab statt Stacheldraht einen gepflegten Zaun aus Schmiedeeisen mit einem wunderschönen Eingangstor. Neu war aber noch etwas anderes. Um meine mehr als abgenutzten Schuhe zu schonen, hatte ich mir"sabots", also Holzschuhe geben lassen, solche, wie man sie ans Holland kennt.

Aus irgendwelchen Stoffresten hatte ich mir Fußlappen gemacht, welche an Stelle von Strümpfen in den Holzschuhen getragen wurden. So klapperte ich also mit meinem alten Bewacher, der die typische Baskenmütze auf dem Kopf hatte und irgendeine alte Flinte über die Schulter trug, 2-mal am Tag kilometerweit durch die Gegend nach Bayonne. Sehr bald hatte ich mich an das neue Schuhwerk gewöhnt und fand das Gehen in sabots sogar als wohltuend für die Füße.

Es gab noch etwa anderes, was aus unserem Lager"Golf" berichtenswert sein dürfte. Die immer noch knappe Verpflegung hatte uns erfinderisch gemacht. Das korrektere Verteilen von unseren Brotrationen bürgerte sich nun mittels dem abendlichen Wiegen ein. Eine Wage aus einem Stock, mitten gelocht, und an den Enden an Kordeln hängenden Pappschalen, wurde im täglichen Wechsel unter den Gefangenen so gehandhabt, daß alle ausgewogenen Brotstücke gleichgewichtig waren. Hier sei der Ordnung halber erwähnt, daß das Aufheben von Lebensmitteln über Nacht streng verboten war, um einem möglichen Kameradendiebstahl vorzubeugen.

Am Sonntag, den 9. Dezember also am 2 Advent, gab es an der Biskaya den ersten Frost. Es sei erwähnt, daß wir alle wie die Schneider froren, hatten wir doch so gut wie keine zusätzliche Bekleidung, um uns gegen fallende Temperaturen zu schützen.

Freitag, der 14. Dezember, war für mich ein ganz besonderer Tag. Ich erhielt erstmals Post (siehe wie Anhang 3-Q)

Seit fast einem Jahr hatte ich von meiner Mutter nichts mehr gehört. Endlich wußte ich, daß sie noch lebte. Post für Kriegsgefangene war streng organisiert. Es gab vorgedruckte Karten und Briefe einmal für den Gefangenen und das gleiche auch für Angehörige. Sie waren kontingentiert: 2 x je Monat für jede Seite. Nicht zu vergessen, die gesamte Post für den Gefangenen wurde kontrolliert, mit einem Stempel versehen: "Controlé". Man konnte also nicht alles schreiben, und auch nicht alles von zu Hause Geschriebene ging durch. Als dann später auch Pakete für mich kamen, mußte ich feststellen, daß der Inhalt nicht immer stimmte. Auch kam es vor, daß ein avisiertes Paket mich nie erreichte.

Da meine Mutter alle Briefe an mich mit fortlaufenden Nummern versehen hatte, war auch feststellbar, daß mancher Brief an mich und auch umgekehrt von mir nach zu Hause nicht durchgegangen war.

Der 3. und 4. Adventssonntag waren nicht erwähnenswert, außer daß wir nun fest dabei waren, etwas für den Heiligen Abend zu arrangieren. Und hier tat sich ein Kamerad besonders hervor. Es war Walter Steger, im Zivilberuf ein hochbegabter Gymnasiallehrer, der sich daran machte, nicht nur zu dichten sondern, der auch die Gestaltung der 1. Weihnacht in der Gefangenschaft in die Hand zu nehmen.

Montag, der 24. Dezember nahte. Die Vorbereitungen für den Abend waren in vollem Gange. Franklin Volk bemalte noch 2 Betonstützen in unserer Unterkunft mit Bildern, inspiriert durch seinen Lieblings-Schriftsteller Christian Morgenstern. Andere hingen einen großen Adventskranz auf.

Für mich stand wieder ein besonderes Ereignis bevor. Nicht nur ich besaß einige französische Franken aus meinem Tabakverkauf, sondern auch andere Kameraden verfügten über kleine Beträge. Ich fragte Lagerchef Hitce, ob ich nicht im nahen Dorf für den Weihnachtsabend beim Bäcker Brot einkaufen dürfe. Er bejahte sofort, und als es dunkel war, ging er mit mir, natürlich Gewehr über der Schulter, ich mit einer großen Wolldecke unter dem Arm, zum nächsten Bäcker, der aber immerhin noch gut 1 Kilometer weit weg seine Bäckerei hatte. Wir schlichen uns durch die Hintertüre in die verdunkelte Backstube, und dort kaufte ich an Weißbrot ein, was das Zeug hielt, bis ich keinen "sous" mehr übrig hatte.

Die mit Broten gefüllte Wolldecke wie einen Sack auf dem Rücken tragend, ging ich mit Hitce zurück zum Lager Golf. Nachdem es hier zur Verteilung gekommen war, tat sich einer unserer Kameraden noch vor dem Beginn des eigentlichen Festessens hervor. Es war Franz Kressierer aus Landshut, ein Hüne, der immer hungrig war, und der nun sofort begann, seine gekauften 9 Pfund Brot nonstop zu verzehren. Nun zum Festessen. Mein Freund Karl Möhl, der Lagerkoch, hatte Wochen vorher damit begonnen winzige Mengen abzuzweigen und anzusammeln, um damit das weihnachtliche Menu bereiten zu können! Die Weihnachtsfeier wurde mit einer Ansprache unseres deutschen Lagerführers Werner Leitloff (aus Halle) eröffnet und wechselte danach zu Vorträgen von Walter Steger und zu gemeinsamen Gesangsvorträgen zum Abendessen und der nachfolgenden Fidelitas (siehe ,Tagebuch" Seiten 12-15).

 

Am Dienstag, dem 1. Weihnachtstag, gab es Gewitter und starken Regen, aber es wurde für uns im Lager auch eine eigene Messe gehalten. Hierzu war ein Lagerraum ausgeräumt und hergerichtet worden. Als Altar diente ein Tisch. Der französische Geistliche hatte Tuch, Kerzen und ein Kreuz mitgebracht und begann seine Messe, zu welcher wir alle, gleich welcher Konfession, eingeladen waren. Wir verstanden zwar nichts, aber durch kräftiges Klopfen in die Hände, hin und wieder auch einmal mit vorwurfsvollem Blick, gab er das Kommando, wann wir zu stehen hatten und wann wir uns setzen durften. Trotzdem empfanden wir dankbar die uns von außerhalb des Stacheldrahtes gebrachte, christliche Weihnacht.

Der 2. Weihnachtstag war für uns aber kein Festtag mehr. Es war ein Tag des Großreinemachens, doch auch das mußte ja sein.

Sylvester. Es war Montag der 3 1. Dezember 1945. Wie konnte es ein frohes Fest für uns sein? Wir erhielten einen Essensnachschlag, und das war's. Wer zur Mitternacht nicht schon am schlafen war, der konnte sich mit 2 kleinen Flaschen Bier trösten. Na, dann Prost.

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Ed: 27/04/2014